Ich bin nun seit fast einer Woche unterwegs und etwas über 110 ~ 120 km sind abgelaufen.
Während ich das so schreibe finde ich, dass es nicht grad nach einer großen Leistung klingt. Faktisch sind es gerade mal 10% der deutschen Strecke.
Dennoch – wenn ich mir in Erinnerung rufe wie es ist, sich diese Strecke zu erlaufen mit dem Rucksack und – was vielleicht noch viel mehr wiegt –  dem Ballast den man im Kopf mit sich trägt, dann fühle ich, was ich schon geschafft habe. Denn – und das ist das Schöne beim Pilgern, der einzige Maßstab ist man selbst!

Nun haben mich schon in der ersten Woche mehr Nachrichten erreicht, als ich je vermutet hätte zu bekommen. Und neben lieben Grüßen und Wünschen, stehen doch oft ähnliche Fragen, die ich mit diesem Artikel beantworten möchte:

Muss man streng gläubig sein um zu Pilgern?

Nein! Muss man nicht. Ich bin der Auffassung, dass das Pilgern einem den Weg zu Gott sichtbarer machen kann, uns Gott auch näher bringt oder besser gesagt, er bringt jeden Einzelnen seinem eigenen Gott näher – egal welchen Namen dieser Gott trägt. Und: auch ein Atheist wird – davon bin ich überzeugt – vielleicht sogar auf spirituelle Weise, auf diesem Weg zu sich selber finden.  Mich selbst hat der Weg beim letzten Mal wieder näher zu mir selbst gebracht und meinem `verloren´ gegangenen Glauben zu neuer Kraft, neuem Leben verholfen. Letztlich ist dieser Weg immer ein Weg zu dir selbst.

Was bringt Pilgern denn eigentlich?

Wenn ich behaupte, dass man Nichts weiß bevor man sich auf dem Weg macht, dass es jedes Mal anders sein wird als man denkt, dass sich während des Pilgerns Zielsetzungen ergeben, verschieben oder einfach verschwinden, dass es klar ist, dass es sehr schön, aber auch sehr schmerzvoll sein wird…..
tja, wenn ich das behaupte, dann ist das die Wahrheit. Diese ureigene Erkenntnis wird aber sicher niemanden dazu bewegen sich auf den Weg zu machen, oder?

Wie es sich für mich anfühlt?

Ich würde es gerne für Euch in Worte kleiden, wie es sich für mich anfühlt. Doch wer kann verstehen oder nachvollziehen, wenn ich verrate, dass ich während des Gehens – einfach so aus heiterem Himmel – begonnen habe zu weinen und 5 Minuten später das fetteste Grinsen im Gesicht trug, welches ich an mir so kenne?! Wie soll ich vermitteln, was es bedeutet mit anderen Pilgern Gespräche zu führen, die andere wohl nur mit ihrem Therapeuten führen. Das ist meine Wahrheit. Diese kann aber sicherlich nicht wirklich vermitteln wie es sich anfühlt.
Ich greife sonst bei Erklärungen gerne auf Analogien zurück, um etwas besser zu verdeutlichen – doch das geht in diesem Fall nicht. Mir fällt nichts ein was dem gerecht werden könnte. Es fühlt sich für jeden anders an.
Was mir wichtig ist und was für mich beim Pilgern ganz viel ausmacht, das sind die Begegnungen – die Menschen die man trifft. Da gibt es die, die am Wegesrand wohnen und die, die auch Pilgern. Jede dieser Begegnungen macht mindestens genauso viel aus, wie die Zeit die man ganz alleine mit sich selbst beschäftigt ist.

Nun auf zu den Begegnungen:

Die Wegrandbewohner

Mit den  Menschen am Wegesrand sind es häufig kurze, aber nicht minder interessante Begegnungen. Es  kommt immer mal wieder vor, dass Anwohner nicht wissen, dass sie direkt am Jakobsweg wohnen. Oft dreht es sich bei den Gesprächen um das Pilgern. Aus welchen Gründen man pilgert, ob man sehr religiös ist, usw..

ich  erzähle gerne, dass das Pilgern sicher etwas Spirituelles und Christliches an sich hat, dass es sich jedoch dabei mehr um das „Ich“ als um die Kirche (hier trenne ich Kirche gerne vom Christ sein) dreht, ernte ich hierbei oftmals ernste und `ungläubige´ Blicke.
Wenn ich dann noch erzähle, dass es sicher für die einen eine (funktionierende) Art Therapie oder ein Selbst-Coaching ist und für andere eine Flucht aus dem Alltag, sind die Blicke oftmals ebenfalls ernst und ungläubig. Egal als was man es bezeichnet und warum man zum Pilgern aufbricht – Eines bestätigen Alle nach Ihrer Rückkehr: Pilgern ist eine echte Reise ins Abenteuerland.

Die Pilgersleut

Begegnungen, die unter die Haut gehen.
Meist trifft man sie ja in den Refugien. Die Menschen, die sich – wie man selbst auch – auf den Weg gemacht haben. Sicher ist, dass jeder auf jeden ein wenig neugierig ist. Pilgern – besonders hier im Norden wo ich gerade unterwegs bin – ist eher als `exotisch´ denn als Massenbewegung anzusehen.
So ist klar, dass hier die Begegnungen eher selten, doch dafür vielleicht um einiges intensiver sind, als auf dem Camino francés wo zu dieser Jahreszeit ja „Rush Hour“ sein soll.
Man trifft sich,  man unterhält sich, nicht selten beschließt man einen Teil des Weges gemeinsam zu gehen oder man verabredet sich bei dem nächsten Refugium. Das mag zunächst einfach und unspektakulär klingen,  so als müsste man dafür nicht pilgern gehen, doch das ist es nicht. Im Gegenteil, einige Details machen diese Unterschiede deutlich. Zunächst natürlich hat man die Gemeinsamkeit, dass man sich auf dem Weg gemacht hat, dass man sich mit sich selbst beschäftigen will, dass man sich Zeit zum Denken und Fühlen nehmen möchte und den sonstigen Alltag komplett aussperrt.

Und doch existiert ein ganz wesentlicher Aspekt der den Unterschied zur klassischen Urlaubsbekanntschaft ausmacht:  alle diese Begegnungen sind flüchtig.

Durch diese Tatsache der gleichen Grundvoraussetzungen und gleichzeitigen Flüchtigkeit der Begegnungen, entstehen sehr offene Gespräche, man erfährt unglaublich viel von seinem Gegenüber und man berichtet natürlich ebenso offen von sich selbst. Es entsteht ein Austausch – der zumindest mich oft noch sehr lange begleitet und beschäftigt.

Resumée

Was all das dann mit einem macht, ob es einen verändert oder nicht – das liegt sicher an jedem selbst. Ich kann da nur für mich sprechen. Ich bin mir sehr sicher, dass es auch zukünftig immer wieder in meinem Leben Pilgerreisen geben wird, dass sie mir unglaublich viel geben und mich…..wie soll ich sagen….erden!

Das sind wohl meine hauptsächlichen Gedanken zum Thema Pilgern und ich hoffe ich konnte sie euch gut vermitteln.

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Ich freue mich über Eure Meinung, Fragen oder einfach Eure Kommentare.

Buen Camino